Wie eigentlich fast immer am Ende meines Arbeitstages hetze ich los, um den Kleinen Entdecker pünktlich von der Schule abzuholen. Ich greife noch schnell ins Bücherregal und dann kämpfe ich mich gegen den eisigen Nordwind in strömendem Regen zum Bahnhof durch. Notdürftig geschützt unter dem schmalen Dach stehe ich auf dem Bahnsteig und beginne zu lesen. Die feuchte Kälte kriecht langsam an meinen Hosenbeinen hoch und der Wind zerrt unerbittlich an meinen Haaren.
Er zog hier was weg und da was, kramte ein bißchen herum, prüfte, ließ fallen, und während er das tat, entdeckte er, hol’s der Teufel, ein Buch, ein hübsches, handliches Dingchen. Ein Zittern durchlief seinen Körper, eine heillose Freude rumorte in der Brust, und er lehnte hastig, wie ein Süchtiger, die Flinte an einen Stuhl, warf sich, wo er stand, auf die Erde und las. Vergessen war der Schmerz der Kälte in den Zehen, vergessen war Adolf Abromeit an der Luke und Wawrila aus den Sümpfen.
Neben mir spannt ein älterer britischer Gentleman seinen großen Schirm als Windfang auf. „Darling, get behind the umbrella, you’ll catch cold in this wind.“ Ich lächle ihm dankbar, aber abwesend zu. Der Wind kann mir im Moment nichts anhaben. Ich liege gerade neben Hamilkar Schaß auf dem Boden und lese.
„Der Satan Wawrila, Hamilkar Schaß, steht vor der Tür.“ „Das wird“, sagte mein Großvater, „alles geregelt werden zur Zeit. Nur noch, wenn ich bitten darf, die letzten fünf Seiten.“
Einige von Euch haben gefragt, ob uns die Themse schon bis zum Hals steht. Nein, zum Glück ist hier in Greenwich noch alles in Ordnung. Ich hoffe jetzt auf besseres Wetter und lese in der Zwischenzeit Siegfried Lenz „So zärtlich war Suleyken – Masurische Geschichten“.
Categories: Aus dem Leben
Wunderschöner Text! (Das sind wirklich schlimme Bilder, die man aus England zu sehen bekommt…)
Danke, liebe Andrea. Ja und eine Ende ist für viele noch nicht in Sicht. Liebe Grüße, Peggy
Hoffentlich bessert sich die Wetterlage bei euch bald! Allerdings muss ich sagen, dass dieser Eintrag wirklich sehr schön ist… Lesen ist doch die beste Art, jedem Wetter zu entfliehen. ;)
Ja, das Einzige, was bei diesem Wetter hilft. ;-)
Ich stand mitten in Wind und Regen, beim Lesen dieses Beitrages. Gute Besserung der Wetterlage!
Dann ging es Dir ja so wie mir :-) Danke für die Wünsche. Das Land kann sie gut gebrauchen.
Beim Lesen alles vergessen, das kenne ich gut, liebe Peggy. Ich muss immer aufpassen, die Haltestelle nicht zu verpassen ; ) Hoffentlich gibt’s bald wieder Sonnenschein für euch! Liebe Grüße
Petra
oder in den falschen Zug einsteigen ;-) Wir hoffen, der Sturm dieses Wochenende bläst den Frühling her! Ganz liebe Grüße, Peggy
Dear Peggy. What a lovely post. I love the story in the story. I hope you didn’t catch a cold. By the way I will be disappointed if the English gentleman with the umbrella was a third story :-) :-)
All the best,
Hanna
Dear Hanna, no, the gentleman was real and they were his exact words. I like this about English people. Many are very polite and even caring to almost every stranger. In my first years here I was a bit irritated, when somebody I didn’t know called me darling or love. In Germany this could definitely lead to misunderstandings :-) have a nice evening, Peggy
Ich fand es immer toll, wie einfach man mit den angeblich so reservierten Briten ins Gespräch kommt. Und das umso mehr, wenn einem so ein kleines Monster um die Beine wuselt. Und die Höflichkeit ist mir vor allem im Straßenverkehr immer wieder aufgefallen. Warum bin ich überhaupt da weggezogen? Ach ja, das Wetter :D
Vielen Dank für dieses entzückende Stückchen Prosa und ganz liebe Grüße von der anderen Insel, Sandra.
Ja, es war ein sehr britisches Erlebnis: britisches Wetter, britische Höflichkeit. Das mag ich hier so sehr. Lieben Gruß, Peggy